wenn der Bürgersteig zum Bodasteig wird - 31. März 2015

Weil die Regenzeit nun angefangen hat und ich der Meinung bin, dass ich hier schon genug verrückte Sachen mache, habe ich mich jetzt dazu entschieden mit dem Matatu zur Arbeit zu fahren. Vor ein paar Wochen bin ich noch fast jeden Morgen zu Fuß zur Arbeit gelaufen, doch inzwischen bin ich nicht mehr ganz so sehr davon überzeugt, dass das eine gute Idee ist. Die Strecke ist nämlich recht viel befahren, sodass ich öfter mal von einem Bodaspiegel gescheift wurde oder manchmal auch einfach nur stehen blieb und hoffte, dass das auf mich zukommende Matatu gerade noch an mir vorbei passt. Selbst am ungeteerten Straßenrand, auf den bei uns niemand freiwillig mit seinem Auto fahren würde, ist man vor Bodas oder Matatus nicht sicher. Wenn es einen Straßengraben gibt, ist dieser an vielen Stellen wegen der braunen Brühe mit darin schwimmendem Müll auch keine Option zum Ausweichen. Manchmal ist der Graben aber auch schmal genug, sodass ich es mit einem großen Schritt auf die andere Seite geschafft habe, um dort zu warten bis die Reisebusse oder Lastwagen an mir vorbei gefahren sind und ich nach der schwarzen Rauchwolke aus dem Auspuff wieder Luft holen konnte.


Viel gefährlicher als der entgegen kommende Verkehr sind jedoch die von der gegenüberliegenden Fahrbahn überholenden Fahrzeuge. In Uganda wird jederzeit gerne und riskant überholt, ganz egal ob vor einer nicht einsehbaren Kreuzung, ob man im Stau steht und nur ein einziges Auto überholen kann oder sogar wenn erschichtlich ist, dass andere Fahrzeuge entgegen kommen. Wenn man es nicht wüsste, würde man sich wohl in manchen Situationen fragen, ob es in Uganda Links- oder Rechtsverkehr gibt oder eben einfach jeder vorwärts oder rückwärts in die Richtung fährt, in die er möchte. Meine Risikobereitschaft hat sich in den letzten Monaten wirklich stark verändert. Doch wenn das nicht passiert wäre, stünde ich wohl immer noch am Straßenrand irgendwo in Kampala und würde darauf warten, dass keine Autos mehr kommen, anstatt einfach auf die Straße zu laufen und darauf zu hoffen, dass die Autos anhalten oder ich schneller bin als sie.


Der letzte Teil meines Arbeitsweges hat auch einen Bürgersteig. Doch die Bedeutung dieses Wortes wird hier etwa so ernst genommen wie Ampelfarben oder mit Trillerpfeifen wild gestikulierende Verkehrspolizisten – nämlich gar nicht. Besonders an einer Kreuzung, die ich trotz Matatufahren nicht vermeiden kann, staut es sich fast immer so sehr, dass die komplette Hauptstraße blockiert ist, weil Reisebusse, Matatus und Lastwagen alle so in die Kreuzung einfahren, dass oft mehrere Fahrzeuge erst wieder rückwärts fahren müssen, damit der Verkehr sich weiter bewegen kann. Währendessen versuchen sich die unzähligen Bodafahrer wie gewöhnlich durch die Lücken zu quetschen und weichen - wenn die Autos so dicht an dicht stehen, dass selbst das nicht mehr geht - auch sehr gerne auf den Bürgersteig aus. Da die Bordsteinkante etwa alle drei Meter abgesenkt ist, muss man aufpassen, dass man bei dem Versuch den entgegen kommenden Motorrädern auszuweichen, nicht von hinten angefahren wird. Dass für Bodas andere oder eher gar keine Regeln zu gelten scheinen, dass begreift man hier sehr schnell. Aber wenn dann selbst Matatufahrer auf die Idee kommen auf den Bürgersteig zu fahren, der genauso breit ist wie ihr Minibus, dann frage ich mich wirklich manchmal was sich der Fahrer dabei denkt. Ich freue mich jedenfalls schon wieder auf das Gefühl in Deutschland Gedanken versunken den Bürgersteig entlang zu laufen, ohne ständig Angst davor haben zu müssen, dass ich umgefahren werde.

 

Anfang Februar habe ich angefangen auf der internistischen Station des Lubaga Hospital zu arbeiten, auf der vor allem HIV-Patienten mit ihren Folgeerkrankungen wie Tuberkulose liegen. Auch Schlaganfall-Patienten, Diabetiker und Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen werden dort behandelt. Die Station ist meist völlig überbesetzt, da es in Uganda zwar einen Ärtzemangel aber einen Schwestern- und Pflegerüberschuss gibt und oft zusätzlich zu den ausgebildeten Kräften noch doppelt so viele Schüler auf der Station arbeiten. Seit letzter Woche bin ich auf der chirugischen Station, wo der Tagesablauf ähnlich ist, es aber deutlich mehr zu tun gibt und viele Verbandswechsel gemacht werden müssen.


Der Tag beginnt mit dem sogenannten "Dump dusting"; es werden alle Flächen in den Patientenzimmern und im Staff-Bereich mit einem Lappen abgewischt. Das mache ich lieber als Bettenmachen, weil ich einfach nicht verstehe warum man schwer kranke Patienten dazu zwingt sich aus dem Bett zu quälen, nur damit das Bett, in das sie sich danach sofort wieder reinlegen, gemacht ist. Auch den Gedanken irgendwann mal eine Kanüle zu fassen, die irgendjemand einfach in die Matratze gesteckt hat, finde ich extrem uncool. Weil das zumindest auf der internistischen Station üblich war, bin ich immer wieder überrascht wie oft nichts passiert.

 

Nach der Übergabe der Nachtschwester und wenn alle Schwestern und Pflegeschüler die Zimmer durchlaufen haben, um ein oder zwei Sätze dem ein oder andern Patienten zu sagen, beginnt die Vitalparameter-Runde, bei der bei jedem Patienten Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung, Temperatur und Atemfrequenz gemessen werden. Danach fängt die Visite an, bei der dann oft fast 20 Ärzte und Pflegekräfte um ein Krankenbett herumstehen. Mir wäre das als Patient sehr unangenehm, selbst wenn bei Untersuchungen meistens versucht wird durch Trennwände mehr Privatsphäre zu schaffen. Deshalb komme ich mir oft ziemlich blöd vor, mich auch noch daneben zu stellen, zumal ich meist sowieso kein Wort verstehe, auch wenn die Ärtze meistens Englisch sprechen. Denn obwohl ihre Welt so laut ist, haben Ugander nämlich die Angewohnheit extrem leise zu sprechen, sodass ich sie noch öfter wegen ihres Flüstertons als wegen ihres Akzents nicht verstehen kann. Auch Nachfragen bleibt meist erfolglos, weil das Gesagte dann in derselben Lautstärke wiederholt wird. Die Schwestern sind ganz oft total gernevt, weil ich so oft Nachfragen muss, wenn sie mir einen Auftrag geben. Aber ich verstehe sie so oft einfach nicht und das nehme ich im Gespräch außerhalb des Krankenhauses nach dem dritten mal Nachfragen auch hin; wenn es aber darum geht welcher Patient das Medikament bekommt, welches in gerade aufziehe, ist die Antwort schließlich nicht ganz so irrelevant.


Nach der Visite werden die Notizen der Ärzte in ein Buch eingetragen und die angeordneten Medikamente auf den Medikamentenbogen in der Patientenakte und in zwei weitere Bücher geschrieben. Für jede Blutuntersuchung, jedes Röntgenbild oder jeden einzelnen Physiotherapie-Termin der Patienten, müssen die Ärtze einen einzelnen "Request-Sheet" ausfüllen. Nachdem alle Bücher und Zettel ausgefüllt sind, werden die Patientenakten zur Apotheke gebracht. Dort sind sie erst um kurz vor zwei abholbereit, was ein wenig ungünstig ist, wenn zwischendurch Untersuchungen gemacht werden müssen, für die die Akte benötigt wird. Wenn die Medikamente abgeholt werden, wird auf einem Tisch vor der Apotheke in allen Medikamentenbögen überprüft, ob die richtige Anzahl an Ampullen und Tabletten vorhanden ist. Fast jedes mal fehlt etwas und man muss einer der Apothekerinnen erst einmal beweisen, dass dies der Fall ist, auch wenn diese das zuerst immer abstreiten.


Dokumentation wird extrem groß geschrieben und alles muss in Büchern und Listen doppelt und dreifach festgehalten werden. Auf der Station gibt es mehr als zehn Bücher in denen alles mögliche aufgeschrieben wird und durch deren System ich einfach nicht durchblicke. Ich muss auch deshalb so oft Nachfragen, weil ich die Anordnungen und Dosierungen auf den Zetteln, Patientenakten und Büchern kaum lesen kann. Die übertriebene Dokumentation stiftet meiner Meinung nach eher Verwirrung, als dass sie Sinn macht. Schließlich passiert es oft, dass einem Patienten das falsche Medikament gegeben wird oder es vergessen wird. Manchmal wird aber scheinbar auch einfach vergessen zu dokumentieren, sodass es vorkommt, dass ein Patient ein Medikament doppelt verabreicht bekommt. Anders kann ich mir nicht erklären wie so etwas passiert, obwohl alles in so vielen verschiedenen Büchern und Akten festgehalten werden soll. Und ich dachte immer, wir Deutschen übertreiben es mit der Bürokratie. Sicherlich macht die Nutzung von Computern Vieles einfacher, aber manchmal frage ich mich, ob man wirklich jedes einzelne dieser Bücher braucht und wer dort jemals etwas nachliest.


Ich muss immer total aufpassen, dass ich jede leere Infusion und alle aufgebrochenen Medikamentenampullen nicht sofort entsorge, wie ich es in Deutschland tun würde. Selbst die Verpackungen von Wundauflagen werden aufgehoben. Diese werden nämlich alle gesammelt, jeden Morgen gezählt und der Verbrauch in einem Buch für Injektionen und zwei kleinen Büchlein nachgehalten. Dabei ist wichtig, dass genauso viele Ampullen als verbraucht notiert werden, wie gezählt wurden - sofern alles logisch. Nur leider stimmen die Zahlen nie mit der im Buch für Injektionen aufgelisteten Menge überein und Kochsalzlösung benutzt man eben auch oft zum Spülen von Zugängen und nicht nur zum Aufziehen von Medikamenten. Außerdem findet man die verbrauchten Medikamente oft auch gar nicht in den anderen Büchern und es werden einfach einige Namen von Patienten eingetragen, die aber gar nicht unbedingt das Medikament erhalten haben – das ist aber laut den Schwestern völlig egal, solange man es so aufschreibt, dass sich Verbrauch und Vorratsmenge ausgleichen. In den zwei weiteren kleinen Büchlein, mit dem man dann zum "Mixing Room" und zur Apotheke gehen kann, füllt man eine ähnliche Tabelle aus. Dorthin nimmt man alle leeren Infusionsflaschen und Ampullen mit, damit überprüft werden kann, ob die Zahlen stimmen. Dann werden diese erst weggeschmissen und man bekommt genau die Menge an verbrauchtem Material wieder und muss dies in dem Büchlein gegenzeichnen. Auch Seife und Desinfektionsmittel wird auf diesem Weg bestellt, sodass es vorkommt, dass man sich ab dem Nachmittag bis zum nächsten Morgen die Hände leider nicht mit Seife waschen oder desinfizieren kann. Da fragt man sich natürlich: Warum das Ganze? Damit nichts geklaut wird.


Auch hier kommt es natürlich vor, dass Patienten gewaschen werden müssen, was aber wie die meisten Tätigkeiten, die in Deutschland zu den Aufgaben der Pflegekräfte gehören, auch oft von den Angehörigen übernommen werden. Die meiste Zeit sind die Patienten von ihren Angehörigen umgeben und nur sehr selten allein. Ganz häufig übernachten sie auch bei ihnen oder legen sich tagsüber für einen Mittagschlaf mit ihren geflochtenen Matten auf den Boden. Freunde oder Verwandte bringen Essen und Getränke ins Krankenhaus, weil dies nicht bereitgestellt wird. Außerdem muss jeder Patient sein eigenes Bettzeug, Decken, Kissen, seine Waschschüssel und alles andere mitbringen, was er benötigt. Vom Krankenhaus wird nur das Bett zu Verfügung gestellt, sodass jeder Kranke auf seine Angehörigen angewiesen ist, um überhaupt verpflegt zu werden oder saubere Bettwäsche zu bekommen. Auf dem Krankenhausgelände gibt es viele Wäscheleinen und man sieht ständig Angehörige, die die Bettwäsche und Kleidung ihrer kranken Verwandten waschen. Hieran wird auch wieder deutlich wie wichtig es in Uganda ist, gute familiäre Beziehungen zu haben. Ich weiß nicht wie es den Menschen hier ergeht, die keine Angehörigen mehr haben. Doch das kommt vermutlich aufgrund der großen Familien eher selten vor.

Ein Patient auf der Station wurde jedoch von all seinen Verwandten verlassen, weil diese seine Behandlungskosten nicht mehr tragen können. Der Mann liegt schon seit Dezember bei uns im Krankenhaus und seine Beine bestehen bis auf seine Füße größtenteils aus einer offenen Fleischwunde, die sich durch eine Infektion ausgebreitet hat. Zum Glück gibt es im Lubaga Hospital aus Spenden finanzierte Gelder für den Fall, dass Patienten ihre Behandlung nicht zahlen können. So bitter dieser Fall auch ist, zeigt das nur, dass auch ugandischen Familienverhältnisse ihre Grenzen haben.


Ich bin froh, dass der Wechsel auf Station nun geklappt hat, auch wenn mir die Arbeit oft sehr schwer fällt und viele Dinge, die ich erlebe nicht so leicht hinnehmen kann. Insbesondere dann nicht, wenn es möglich wäre etwas zu verbessern, ohne dass man dafür mehr Geld oder Material bräuchte. Manchmal kann ich gar nicht glauben wie gearbeitet wird. In der Medizin gibt es eben oft einfach richtig und falsch und nicht "our way" und "the african style". Aber damit, dass die Menschen das hier anders sehen, muss ich mich wohl einfach abfinden.


Vor allem der Patientenumgang ist für mich sehr schwer zu akzeptieren. Es kommt selten vor, dass überhaupt mit dem Patienten gesprochen oder ihm angekündigt wird, wenn bestimmte Maßnahmen wie eine Blutabnahme durchgeführt werden. Es wäre so wichtig schon den Kindern beim Impfen zu erklären, dass es kurz weh tun wird, anstatt ihnen einfach die Spritze in den Arm zu rammen. Dann hätte man auch nicht so viele vor Angst zitternde erwachsene Patienten im Krankenhaus oder bestimmt auch weniger Menschen, die sich deshalb gar nicht mehr trauen überhaupt ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Wenn ich sehe wie unsanft die Schwestern mit schwerkranken Patienten umgehen, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen und sich kaum selbst bewegen können; oder scheinbar überhaupt nicht verstanden haben, dass sie von einem Menschen mit einer Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall nicht erwarten können, dass er sich ohne Unterstützung in einen Rollstuhl umsetzt und überrascht sind, wenn er zusammenbricht, dann werde ich einfach wütend.


Die Überzeugung, dass es genauso am allerbesten ist wie es in Uganda gemacht wird, ohne etwas anderes zu kennen, ist für mich einfach nicht nachvollziehbar. Und wie soll sich in diesem Land etwas verändern, wenn der Großteil der Menschen gar nicht dazu bereit ist etwas dafür zu tun?

Wenn man sich mit Ugandern unterhält, sagen sie dir viele über ihre eigenen Landsleute, dass diese stur sind, dass sie Angst vor Neuem haben. "Ugandans fear challenges." - wie oft habe ich diesen Satz schon aus dem Mund eines Uganders gehört. Und gleichzeitig wollen viele, dass alles so toll ist wie bei uns? Aber woher wissen sie denn überhaupt, dass bei uns alles so viel besser ist und haben sie daran gedacht, dass die meisten Menschen bei uns auch sehr hart für ihr Geld arbeiten müssen? Wenn ich sie frage, was sie so sicher macht, dass unsere Welt so viel besser ist als ihre, haben sie nämlich oft ganz andere Vorstellungen von den westlichen Ländern, die wenig realitätsnah sind. Auf der anderen Seite will ich mir auch gar nicht vorstellen was viele Menschen aus Deutschland über "Afrika" denken, wenn meist noch nichtmal von einzelnen Ländern gesprochen wird, sondern von einem Kontinent. Natürlich sehen das nicht alle Ugander so, denn es gibt genauso viele, die der Meinung sind, dass hier alles so bleiben kann wie es ist. Aber ob das die bessere Einstellung ist, kann man natürlich genauso in Frage stellen.


Ich will nicht unfair sein, aber manchmal fällt es mir bei Unterhaltungen über Deutschland aber auch einfach schwer bestimmte Fragen ernsthaft zu beantworten. Schimmeln eure Bäume im Winter und gibt es dann nichts zu Essen? Wo hängt ihr denn dann im Winter eure Wäsche auf? Im Keller? Was ist ein Keller? Bei euch gibt es auch Kartoffeln? Ihr habt noch nie Matoke gegessen? In Deutschland wachsen keine Bananen?

Dabei sollte ich aber nicht vergessen, wie viele Dinge ich nicht wusste, bevor ich hierher kam, wie viel ich gelernt habe, wie viel mir geduldig und freundlich erklärt wurde, auch wenn ich einigen Dingen mit großem Unverständnis begegnet bin.


Aber manchmal hört mein Verständins auch einfach auf. Ein Kollege schlug mir letztens vor doch mal auf die psychatrische Station des Krankenhauses zu gehen. Ich würde den ganzen Tag nur lachen, das sei so lustig.  Eine Schülerin, mit der ich mich sehr gut verstanden habe, saß neben mir und stimmte ihm zu. Ich konnte gar nicht glauben, was ich da gehört hatte. Natürlich gibt es bei uns auch medizinisches Personal, bei dem ich mich frage, was eigentlich ihre Motivation ist, warum sie einen Beruf gewählt haben, bei dem es oft auch auf Einfühlungsvermögen ankommt, welches manche Menschen einfach nicht zu besitzen scheinen. Vor wenigen Jahren waren psychatrische Erkrankungen auch bei uns noch viel weniger gesellschaftlich akzeptiert. Aber frage ich mich einfach, ob manche Leute hier schon mal was von Menschenwürde gehört haben? Dass jeder Mensch das Recht hat würdevoll behandelt zu werden, ganz egal, ob er unter einer psychiatrischen Erkrankung leidet oder einen Herzinfakt erlitten hat.


Die Frage nach der Menschenwürde und dem respektvollen Umgang mit Patienten beschäftigt mich hier ohnehin sehr. Zu irgendwelchen betrunkenen Patienten, die meinen ein Rettungswagen sei ein Taxi, bin ich auch nicht übermäßig freundlich. Aber auch solche Menschen haben einen gewissen respektvollen Umgang verdient, ganz egal was ich über ihr Verhalten denke.

Ich weiß auch, dass bei uns nicht jeder Patient die Betreuung erhält, die er braucht oder verdient.

Doch warum geht man hier mit schwerkranken Menschen so um als sei es egal wie es ihnen geht und was mit ihnen passiert? Warum lacht man vor ihnen über sie? Dass man nicht zu jedem Menschen extrem nett ist, finde ich durchaus verständlich und jeder hat mal einen schlechten Tag. Aber worum es mir geht ist Menschenwürde, die jeder verdient hat, ganz egal warum und woran derjenige erkrankt ist. Wo bleibt der herzliche Umgang, der mir am Anfang so aufgefallen ist? Auf den zweiten Blick scheint mir die Gesellschaft hier oft so rücksichtslos, die Freundlichkeit nur oberflächlich und gar nicht echt, sondern verlogen und falsch.

Habe ich mich so sehr in den Ugandern getäuscht? Sind sie in Wirklichkeit meist nur auf den eigenen Vorteil bedacht? Kann man nicht auch einfach mal etwas Gutes tun und einem anderen Menschen helfen ohne dass man dafür eine Gegenleistung erwartet? Natürlich ist das leicht gesagt, als Mensch, der mehr hat als er braucht und ich will auch überhaupt gar nicht sagen, dass es nicht sehr viele Ugander gibt, die genau das tun. Aber es sind weniger als ich zuerst dachte. Doch auch das ist irgendwie verständlich, in einem Land, in dem es eben viel mehr Menschen gibt, die wirklich ums Überleben kämpfen müssen. Und vielleicht muss man in dieser Welt auch einfach härter im Nehmen sein, weil man das Leben hier sonst gar nicht bewältigen kann. Ist das was ich als so kalt und herzlos wahrnehme also ein Selbstschutzmechanismus, um das Leid zu verdrängen und besser hinnehmen zu können?

Es geht mir nicht darum, dass man extrem viel Mitleid mit seinen Patienten haben sollte, aber es sollte selbstverständlich sein, dass man respektvoll mit ihnen umgeht. Ich glaube, dass die Patienten und ihre Angehörigen mein Entsetzen über das was ich als so schlimm wahrnehme, gar nicht als dramatisch empfinden. Niemals würde sich jemand beschweren; die Menschen sind ohnehin sehr dankbar, dass ihnen überhaupt geholfen wird. Trotzdem bleibt der Patientenumgang für mich oft schwer nachvollziehbar und ich stehe oft daneben und frage mich: Guys, where is the love?


Trotz der vielen Fragen in meinem Kopf, versuche ich immer wieder auch das Gute an diesem Land zu sehen, auch wenn mir das im Moment manchmal schwer fällt. Denn ich weiß ganz genau, dass es Dinge geben wird, die ich vermissen werde, wenn ich Deutschland bin und es ist ganz normal, dass man sich über Dinge aufregt. Vielleicht sollte ich öfter daran denken, dass das zu Hause auch nicht anders ist, man nur schon viel länger an das gewöhnt ist, was einen stört.


Es hat aber auch noch andere Gründe warum ich mich hier im Moment nicht so wohl fühle. Vor ein paar Wochen wurde bei Leonie und René in Luweero eingebrochen. Schon vorher fühlte ich mich hier nicht mehr so sicher wie in der Anfangszeit. Auch wenn das im Vergleich zu Kenia oder dem Kongo zutreffen mag, finde ich die Behauptung Uganda sei ein sicheres Reiseland ein wenig übertrieben. Doch nach diesem Vorfall ist dieses Gefühl leider verstärkt worden. Als wir die beiden im Dezember besucht haben, dachte ich, dass sie wirklich sicher wohnen, weil sie genau wie wir auch eine Mauer und ein Tor hatten. Doch auch das und ihr Vorhängeschloss war wohl kein Hindernis, um ihnen all ihre Wertsachen zu klauen. Leider haben die beiden sich danach entschieden nach Deutschland zurück zu fliegen, weil sie auch schon in den vorherigen Monaten andere unschöne Dinge erlebt haben.


Als weißer Mensch wird man hier eben ständig von den Menschen beobachten, die den ganzen Tag am Straßenrand vor ihren Shops oder Ständen sitzen oder solchen, die als Verkäufer durch die Straßen laufen. Es dreht sich fast jeder nach dir um und alle gucken wo du hingehst. Wir haben auch schon sehr viele Bodafahrer getroffen, die genau wussten wo wir wohnen, obwohl sie uns noch nie gefahren haben, was uns schon ein wenig verunsichert hat. Außerdem lassen wir uns eigentlich nie bis ganz vor die Haustür fahren, sondern laufen das letzte Stück, damit genau das nicht passiert. Auch dieses Gefühl ständig beobachtet zu werden, trägt dazu bei, dass ich mich nicht besonders wohl fühle und ist auf Dauer einfach so unvorstellbar nervig.


Es ist aber auch sehr schön, dass ich inzwischen allein in unserer Straße schon so viele Menschen kenne und mir die Obst- und Gemüseverkäufer vor ihren Hütten zuwinken, wenn ich an ihnen vorbei laufe. Am Wochenende gehe ich vor dem Frühstück meistens als erstes zum nächsten Shop an der Straße, um Milch, Eier oder frisches Obst zu kaufen. Ich frühstücke am liebsten auf unserer Matte, die mir meine Gastmutter mitgegeben hat, auch wenn wir neuerdings einen kleinen Tisch besitzen.

Vor ein paar Wochen haben wir nämlich eine kleine Einweihungsparty veranstaltet, zu der uns ein paar andere Freiwillige aus dem Guest House einen Tisch geschenkt haben! Es war ein sehr netter Abend mit leckeren Nudel- und Kartoffelsalaten, die von sämtlichen in unserer Küche auffindbaren Deckeln gegessen wurden, weil unsere fünf Teller leider nicht für alle Gäste gereicht haben.

Am Tag danach ging es gleich weiter mit deutschem Essen, weil ich meine Gastmutter zum Mittagessen eingeladen hatte. Mir ist nämlich endlich ein deutsches Gericht eingefallen ist, für das man hier bezahlbare Zutaten bekommt und welches man ohne Ofen zubereiten kann.
Es gab Spätzle mit Frikadellen, Möhrchen und Bohnen und heller Sauce. Zum Nachtisch hatte ich Germknödel mit Vanillesauce vorbereitet, die wir leider alleine essen mussten, weil meine Gastmutter schon los musste. Doch wer weiß, ob sie sie hätte essen wollen, wenn sie gesehen hätte, dass sie auf einem über einem Topf gespannten T-Shirt gedämpft wurden. Sie hat sich jedenfalls trotzdem sehr gefreut und ich konnte mein schlechtes Gewissen dafür begleichen, dass mir immer so viel leckeres Essen aufgetischt wird, wenn ich zu Besuch komme.

Einerseits bin ich froh, dass ich Uganda nun als mein zu Hause auf Zeit akzeptiert habe. Anderseits bekommt man eben auch oft das Gefühl vermittelt hier nicht hinzugehören und besonders in der letzten Zeit hatte ich oft Heimweh. Die knapp sechs Monate bis zu meiner Rückkehr kommen mir manchmal unendlich lange vor; manchmal wünschte ich aber auch, dass die Zeit nicht so schnell vergehen würde, weil es auch so viele schöne Momente gibt und ich gar nicht glauben kann wie schnell das erste halbe Jahr vergangen ist.