Zeit für ein neues Kapitel - 26. Januar 2015

An Heiligabend haben Elena und ich uns nochmal auf den Weg zur Watoto Church der Born Agains gemacht, in der Hoffnung, dass wir es beim zweiten Versuch zumindest durch die Sicherheitskontrolle am Eingang schaffen würden und nicht wieder enttäuscht nach Hause gehen müssen. Aus den Menschenmassen, die wir am Tag vorher erlebt hatten, schlossen wir, dass meine Gastschwester Ruth uns nicht zu viel versprochen hatte und das Warten sich selbst für einen Stehplatz lohnen musste. Am Abend des 23. Dezembers wurde uns nämlich nach fast zwei Stunden Schlange stehen mitgeteilt, dass auch die Plätze für die Liveübertragung auf der Leinwand alle belegt sind. Mit unseren Karten, die man uns am Tag vorher zugesteckt hatte, versuchten wir also erneut unser Glück und waren erfolgreich. Diesmal waren wir noch früher gekommen und freuten uns nach dem Einlass über das Cateringangebot auf dem Gelände. Auch "Brood", eins meiner Lieblingscafés, war mit einem Stand vertreten. Die Veranstaltung wirkte auf mich aber eher wie ein kleines Festival und nicht wie ein Weihnachtsgottesdienst.

Weil ich die hier multifunktional verwendeten Gartenstühle bisher immer nur in Born Again Kirchen gesehen habe, erkannte ich den Wartebereich nicht als solchen, wunderte mich jedoch, dass sich die Leute möglichst weit nach hinten setzten und nur in den vorderen Stuhlreihen noch einzelne Plätze frei waren. Als wir einen der Ordner fragten, wo denn die Bühne sei, erklärte er uns, dass dies noch gar nicht die Kirche sei und erst in etwa anderthalb Stunden die Menschen von hinten nach vorne rein gelassen werden würden.

Als es endlich so weit war und wir es nicht nur ins Gebäude geschafft, sondern dort auch noch einen hervorragenden Sitzplatz bekommen hatten, konnten wir es gar nicht mehr erwarten. Ein Amerikaner, der die Watoto Church vor 20 Jahren gemeinsam mit seiner Frau in Kampala aufgebaut hatte, begrüßte uns pünktlich um sechs Uhr zur Vorstellung, die damit begann, dass das ganze Publikum dazu eingeladen wurde "Oh Come, All Ye Faithful" zu singen. Es ist eins meiner Lieblingsweihnachslieder und als wirklich jeder in der riesigen Kirche begann ganz laut mitzusingen, fühlte es sich auf einmal gar nicht mehr so seltsam an, dass es der 24. Dezember war und ich im T-Shirt im Weihnachtsgottesdienst saß. Auch die Kulisse, die auf der Bühne aufgebaut war, ließ unsere Spannung noch weiter steigen.

Die Show war nicht mit einem Krippenspiel vergleichbar, sondern eher wie ein Musical und hat mir unglaublich gut gefallen, weil sie die Weihnachtsgeschichte so humorvoll näher gebracht hat. Hinzu kamen die tollen Gesangs- und Tanzeinlagen der Darsteller und zwei große Chöre an beiden Seiten der Bühne.

Die Vorstellung endete mit dem Lied "We wish you a Merry Christmas", das wieder alle gemeinsam sangen - der Weihachtszauber hatte uns angesteckt. Freudestrahlend verließen wir die Kirche, es ging hinaus unter den Nachthimmel der Stadt und alle Menschen wünschten sich gegenseitig frohe Weihachten. Ich warf einen letzten Blick auf die mit Lichterketten dekorierten Palmen vor der Kirche. Als wir dann durch die Straßen zum Taxipark liefen, fiel uns aber vereinzelt weitere Weihnachtsdekoration auf, die wir in den Wochen vorher vermisst hatten. Die Ugander hatten mit ihrer Vorhersage also doch Recht gehabt, dass es bei ihnen eben erst an Weihachten wirklich weihnachtlich wird.

Für das Weihachtsessen im Guest House waren Elena und ich ohnehin spät dran und entschieden uns nach einem spontanen Einkauf von Kleidern für den nächsten Tag in unseren Gastfamilien, ein Boda zu nehmen, weil wir sonst vermutlich wegen des Staus noch zwei Stunden zurück gebraucht hätten. Nach mehreren Versuchen fanden wir einen Bodafahrer, der sich auf einen für Heiligabend halbwegs akzeptablen Preis runterhandeln ließ. Insgesamt hatte er es wirklich gut drauf, die Schlaglöcher sehr schwungvoll aber geschickt zu umfahren. Nur wenn er mal eins übersah, wurde es dafür eben umso schmerzhafter, denn er scheute sich in Anbetracht seiner Geschwindigkeit scheinbar nicht vor einem extrem hohen Spritverbrauch. Trotz des hohen Verkehrsaufkommens waren wir also in Rekordzeit in Nansana, nach der vermutlich verrücktesten Bodafahrt, die ich bisher in Uganda erlebt habe. Ich stellte mir währenddessen wie so oft die Frage, ob einem eigentlich etwas am eigenen Leben liegt, wenn man sich dafür entscheidet Boda zu fahren oder man das Leben überhaupt erst lieben kann, wenn man es tut. Das muss natürlich jeder für sich selbst herausfinden.

Der Bedarf an Nervenkitzel war für den Tag jedenfalls ausreichend gedeckt und wir freuten uns nach etwa 25 Minuten über festen Boden unter den Füßen. Außerdem hofften wir, dass es Wasser und somit auch ein leckeres Weihachtsessen mit den anderen Freiwilligen geben würde. Mittags gab es nämlich wieder einmal kein Wasser mehr im Guest House und auch die Vorräte aus der Regentonne gingen langsam dem Ende zu, weil dies in letzter Zeit wohl öfter vorgekommen war. Doch wir hatten Glück und auf uns wartete Kartoffelgratin, Avocadosalat, Reis mit Erdnusssoße, Gurkensalat, Gemüsecurry, Gouda, warmer Bread Pudding mit Äpfeln und Datteln, frischer Obstsalat und vieles mehr – eine Mischung aus ugandischer und internationaler Küche, entsprechend der anwesenden Nationalitäten. Als später noch selbstgemachter Glühwein dazu kam, den wir am Lagerfeuer unter den Palmen tranken, und ich mit meinen Eltern und meinem Bruder skypen konnte, wurde mein Heiligabend trotz der Entfernung von zu Hause zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Vielleicht fragt ihr euch jetzt warum ich Heiligabend nicht in meiner Gastfamilie verbracht habe. Meine Gastmutter hätte das mit Sicherheit gerne gesehen, weil sie mich ihre Enttäuschung darüber, wenn ich nicht rund um die Uhr zu Hause bin, jedes Mal sehr deutlich spüren lässt. Ich hatte ihr allerdings schon Wochen vorher angekündigt, dass ich am 24. Dezember nicht zu Hause sein werde, weil ich dort eben nicht die Möglichkeit habe zu skypen, worauf sich mein Papa so sehr freute.
Auch weil mir bis zu dem Zeitpunkt trotz mehrfachem Nachfragen, das Intercafé in der Nähe immer noch nicht gezeigt wurde – nicht nur meine Gastmutter, sondern auch ich war nicht begeistert davon, am Wochenende immer bis nach Nansana fahren zu müssen, um Strom und skype, oder zumindest eins der beiden nutzen zu können -, war kein Anlass für eine Planänderung gegeben. Außerdem wird Heiligabend hier ohnehin nicht gefeiert und ich hatte stattdessen fest versprochen beide Weihachtstage mit der Familie zu verbringen, weshalb ich am 25. Dezember schon früh morgens zurück nach Hause fuhr.

Dort angekommen half ich bei den Vorbereitungen des Weihnachtsessen, das zum Teil von uns und zum anderen Teil von Joy, der Frau von James, dem Sohn meiner Gastmutter, bei dem wir Weihachten feierten, vorbereitet wurde. Ihr hättet das Gesicht von Anne und Ruth sehen müssen, als ich in dem Kleid in die Küche kam, das ich am Abend vorher gekauft hatte, um sie zu überraschen. Sie haben sich so sehr darüber gefreut!

Wir hatten uns bereits in den Tagen zuvor über die Unterschiede unserer Weihnachtsfeste unterhalten, aber vor Abfahrt fragte ich trotzdem nochmal vorsichtig nach, wie es denn nun genau mit den Geschenken gehandhabt werden würde. Ich erfuhr, dass die Geschenke in meiner Gastfamilie entweder am ersten oder zweiten Weihnachtstag geöffnet werden, ganz wie man möchte.

Ich war es gewöhnt mit vollgepacktem Auto zur Verwandtschaft zu fahren oder eben, dass die Bescherung wie ich es von Weihnachten mit meiner Familie in England oder den USA kannte, am Morgen des 25. Dezembers stattfindet. Meine Gastmutter sagte mir aber, dass sie alles zu Hause lässt, weil sie nicht für alle ein Geschenk hat. Daraus schloss ich, dass es zumindest im kleinen Kreis der Familie Geschenke geben würde, wie mir auch ein paar Tage vorher erzählt wurde.

Uncle Fred, ein langjähriger Freund der Familie, der auch fast täglich zu Besuch ist und Uncle John, den ich noch nicht kannte, holten uns mit dem Auto ab, um mit sämtlichen Speisen und Getränken im Kofferraum, aufs Land zu James und seiner Familie zu fahren. Das Haus der Familie ist riesig und ziemlich luxuriös eingerichtet. Nicht nur die Latrine, sondern auch die Küche ist als einzelnes Gebäude Teil des großen Grundstückes. Während die Kinder auf dem Innenhof spielten, bereitete ich mit meinen älteren Gastschwestern frisch gepressten Saft und Kohlsalat zu.

Die drei anwesenden Herren der Schöpfung ließen sich trotz des regnerischen und für ugandische Verhältnisse recht kühlen Wetters nur blicken, als es Essen gab und verschwanden damit dann umgehend wieder auf die Veranda. Für mich ist es immer noch seltsam, dass es hier nicht üblich ist gemeinsam mit dem Essen anzufangen, aber dass wir noch nicht einmal alle in einem Raum saßen, fand ich besonders an Weihachten umso merkwürdiger.

Das Essen war wie gewohnt sehr lecker und obwohl ich keine ugandische Portion gegessen hatte, war kaum noch Platz für den Christmas Cake, den meine Gastfamilie in einem Cakeshop bestellt hatte.
Bevor ihn die Kinder gemeinsam anschneiden durften, wiederholte meine Gastschwester Ruth nochmal die Weihnachtsgeschichte und stellte dazu einige Fragen, die die Kinder beantworten sollten. Dann schaukelten sie das Christkind in ihren Armen zum passenden Lied, was allerdings wiederholt werden musste, weil Ruth nicht damit zufrieden war. Das Schaukeln wurde dann beim zweiten Mal schon behutsamer ausgeführt, wir sangen noch "Happy Birthday" für Baby Jesus und der Kuchen durfte angeschnitten werden.

Obwohl der Nachmittag wirklich schön gewesen war, fühlte ich mich seltsam, weil ich in meinem Kleid auf dem kalten Sofa fror, anstatt im warmen und weihnachtlich riechenden Wohnzimmer meiner Großeltern zu sitzen, wo es besonderes an Weihachten oft sehr eng, dafür aber umso gemütlicher wird.
Auch wenn ich an Weihnachten mit meiner Familie nicht vom Frieden auf Erden sprechen würde, fehlten mir die lebhaften Diskussionen und guten Unterhaltungen über Gott und die Welt. Stattdessen saßen bis auf die Kinder alle die meiste Zeit schweigend im großen Wohnzimmer und es kamen kaum Gespräche zu Stande. In diesem Moment wünschte ich mir in Deutschland zu sein, auch wenn ich vorher noch keinen Grund gehabt hatte darüber traurig zu sein, Weihnachten so weit weg von zu Hause zu verbringen.
Nach der Fahrt nach Hause mit drei meiner Gastschwestern rechts und links von mir auf der Rückbank und einer Palette Eiern auf dem Schoß, die die Landstraße trotz der hohen Anzahl an Schlaglöchern (dieses Wort ist eine maßlose Untertreibung für die Zustände ugandischer Landstraßen) für mich unerklärlicherweise überstanden hatten, freute ich mich nur noch auf mein Bett. Da ich in den Eindruck hatte, dass es den anderen genauso ging, beschloss ich ihnen meine Geschenke am nächsten Tag zu überreichen – das war laut meiner Gastmutter schließlich freigestellt. Als ich fast eingeschlafen war, rief Anne mich plötzlich und ich stand wenig begeistert auf, um ins Wohnzimmer zu gehen. Ich staunte nicht schlecht, als mir meine Gastmutter, Uncle Steven und Fibi ein Geschenk in die Hand drückten. Sie hatten auf Ruth warten wollen, sich dann aber doch entschieden es mir zu überreichen. Sie schenkten mir eine Thermoskanne und drei Tassen, die ich für die neue Wohnung wirklich gut gebrauchen konnte und über die ich mich wahnsinnig freute. Dann verteilte ich auch meine Geschenkte und fühlte mich seltsam dabei, dass sie zwar mich, sich aber nicht gegenseitig beschenkten. Die Behauptung, dass sie sich immer etwas schenken würden, schien zumindest in diesem Jahr nicht zuzutreffen.
Als ich feststellte, wie sehr sie sich über die Geschenke freuten, war ich auf der einen Seite unvorstellbar erleichtert, dass ich für jeden etwas gefunden hatte und trotzdem stimmte es mich nachdenklich, weil mir wieder einmal klar wurde wie viel für mich selbstverständlich ist.
Theci schlief zu dem Zeitpunkt schon, hat sich aber am nächsten Morgen mindestens genauso sehr über ihren neuen Ball gefreut, wie die anderen Familienmitglieder, denen ich mit neuen Buntstiften, Ohrringen, Kaffee, deutschem Weihnachtsbaumschmuck und anderen Kleinigkeiten eine Freude machen konnte.

Eigentlich hatte ich mir ganz fest vorgenommen auf keinen Fall zu den Freiwilligen zu gehören, deren Weihnachtspäckchen von Ameisen aufgefressen werden, erst recht nicht nachdem schon meine Packung Vollkornbrot verschimmelt war, weil ich nur selten und in kleinen Mengen davon gegessen hatte, damit es länger hält. Dieser Plan ist also nicht aufgegangen. Doch zum Glück hatte ich noch Plätzchen geschickt bekommen, die auch angebrochen länger haltbar waren oder eher gewesen wären, wenn ich nicht dieses eine Mal vergessen hätte meinen Koffer zu schließen.
Als ich dann am Abend auf meinem Bett saß und mich schon über die seltsamen Löcher in der Plastiktüte wunderte, in die ich die Packung eingewickelt hatte, bemerkte ich diesen verdächtigen Knabberrand am Butterspekulatius. Ich hätte heulen können! Ganz so schlimm wie erst gedacht war es dann aber doch nicht, weil ich feststellte, dass die zweite, noch ungeöffnete Packung Plätzchen in meinem Koffer unversehrt geblieben war.
Bis auf diesen Vorfall, der ja dann noch nicht ganz so schlimm war wie vorerst vermutet, war mein Weihnachtsfest in dieser ganz anderen Welt aber wirklich eine tolle Erfahrung.
Trotzdem freue ich mich darauf, dass ich die Mäuse im nächsten Jahr hoffentlich nur in Form von Filzfiguren auf meinen Adventskalender wieder antreffen werde.

Zwischen den Tagen war ich ohne die Möglichkeit meinen Laptop bei der Arbeit zu laden, dadurch ein wenig von der Außenwelt abgeschieden und schrieb meine verschiedenen Berichte handschriftlich vor, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass mir zunehmend die nicht vorhandene Decke auf den Kopf fiel.
Ich schaute öfter bei unserer neuen Wohnung vorbei, die nicht weit von dem Haus meiner Gastfamilie entfernt liegt. Da es sich um einen Neubau handelt, durften wir uns die Wandfarben aussuchen und ich fertigte eine Skizze an, aus der hervorging welche Wände weiß und welche farbig werden sollten. Unsere Küche hat zwei knall orangefarbene Wände, eins der Schlafzimmer ist zur Hälfte blau, das andere quietsch grün und die Wände im Wohnzimmer eher cremefarben. Dafür, dass man unter Farben wirklich sehr unterschiedliche Dinge verstehen kann und wir natürlich nicht die genauen Farbnuancen von der Palette wählen konnten, sind unsere Wünsche sehr gut umgesetzt worden.

Das sehr ereignisreiche Jahr 2014 ging sehr entspannt zu Ende.
Nachdem Maria und ich am Vormittag schwimmen waren und uns nach dem Sonnen wieder auf den Rückweg ins Guest House machten, stand unsere Abendplanung noch nicht ganz fest.
Wir entschieden uns letztendlich für einen deutsch-japanischen Silvesterabend mit Kartoffelsalat und gebratenem Reis. Dazu gab es ugandischen Gin aus Plastiktütchen - nicht besonders genießbar -, und ich beschloss beim nächsten Mal wieder auf das ugandische Bier umzusteigen.
An Stelle von einem Feuerwerk, das in Uganda aus Sicherheitsgründen nicht länger als fünf Minuten dauern darf, freute ich mich über Wunderkerzen, die uns eine andere Freiwillige da gelassen hatte. Ich hatte mich kurz vor Weihachten in Kampala oft mehr als unwohl gefühlt und ständig das Gefühl von den Abgasen fast zu ersticken, wenn ich mal wieder zwischen den im Stau stehenden Autos eingequetscht, verzweifelt versuchte ein bisschen Platz zwischen den Matatus zu finden, um mich aus einer Lücke zu befreien, in die sich immer mehr Menschen drängelten. In Deutschland hatte ich nie ein Problem mit Menschenmassen, doch auch das Erlebnis im Fußballstadion und die Erzählungen anderer Ugander hielten mich davon ab, an diesem Abend das Haus zu verlassen.

Am 3. Januar fuhren Maria und ich übers Wochenende nach Entebbe, mit einem kleinen Umweg zum Äquatordenkmal in Nabusanke, wo doch tatsächlich Rie und Mizuki, die beiden Japanerinnen von UPA, vor uns standen! In Kampala treffe ich ständig Menschen die ich kenne, was mich bei den Menschenmassen jedes Mal überrascht - aber ausgerechnet dort? Natürlich musste das sofort mit unseren Kameras festgehalten werden. Auch über die luxuriösen sanitären Anlangen mit Klopapier, Waschbecken, Seife und Spiegel, waren wir positiv überrascht und werden sicherlich nochmal dorthin fahren. Man kann nämlich nie genug Bilder auf dem Äquator machen!

Nachdem wir alle Craft Shops und ein Restaurant besucht hatten, folgten wir den Tipps von Uncle Steven, der mir die Route bis nach Entebbe auf einem kleinen Zettel skizziert hatte. Den ersten Teil konnten wir mit dem Matatu zurücklegen, mussten dann aber auf ein Boda umsteigen, weil auf der andstraße, die bis zum Ufer des Lake Victoria führt, keine Matatus fahren.
Den See überquerten wir mit einem kleinen Fischerboot und konnten von dort sogar den Flughafen sehen. Auf der anderen. Seite angekommen, fuhren wir mit dem Matatu bis in Zentrum von Entebbe. Weil niemand im Matatu den Straßennamen kannte, den wir suchten, nahmen wir ein Boda und kamen dann auch dort an wo wir hin wollten.
Als wir uns kurze Zeit später auf den Weg zum nächsten Strandbar machten, stellten wir fest, dass unser Hostel ganz in der Nähe der Anlegestelle war und wir von dort aus sogar hätten laufen können.
Beim nächsten Mal werden wir uns den Ausflug bis ins Zentrum also sparen.

Im Restaurant am Ufer des Lake Victoria gab es frischen Fisch, kaltes Bier und einen malerischen Sonnenuntergang, dessen Postkartenmotiv-Effekt die Fischer auf ihren kleinen Bötchen noch verstärkten – was will man mehr?

Im Mondlicht liefen wir nach einem wunderschönen Abend zurück zu unserem Hostel.
Wir zwei Helden hatten beide die Schnapsidee gehabt, unsere Stirnlampen nicht mitzunehmen, in der Hoffnung das unser Hostel an diesem Abend nicht von Stromausfällen betroffen sein würde. Als wir auf einmal im Dunkeln auf unseren Betten saßen, wurde uns klar, dass dies ein großer Fehler gewesen war und wir fingen laut an zu lachen.
Zum Glück hatten wir zu dem Zeitpunkt schon die warme Dusche genossen – nach drei Monaten eine wirklich sehr feine Sache. Als das Licht nach einer Dreiviertelstunde wieder anging, war die Begeisterung groß. Doch sollte die Freude nicht allzu lange anhalten und mit dem Strom verschwand auch unser Wlan immer wieder, sodass wir irgendwann einfach einschliefen.

Am nächsten Morgen wollten wir schon recht früh aufbrechen, um uns mit einer alten Freundin meiner Mama zu treffen. Das stellte sich jedoch als schwieriger heraus als erwartet, weil weder sie und ihre Reisegruppe, noch Maria und ich wussten, dass der Botanische Garten mehrere Eingänge hat. Glücklicherweise hatte ich ihr vorher noch meine Handynummer gegeben und so haben wir uns dann doch noch gefunden.

Als ich Vreni und ihren Mann das letzte Mal gesehen habe, war ich wahrscheinlich noch im Kindergarten. Irgendwie witzig, dass wir uns jetzt Jahre später ausgerechnet in Uganda wieder treffen. Auf die Frage was man mir denn mitbringen könnte, hatte ich Schokolade und Vollkornbrot geantwortet, jedoch nicht solche Mengen im Sinn gehabt, die zusammen mit dem Inhalt des Weihnachtspakets meiner Patentante sogar bis September reichen könnten, wenn mein Schokoladenkonsum weiterhin nicht die gleichen Ausmaße annimmt wie in Deutschland.

Als ich zu Hause ankam, musste ich feststellen, dass aus meinen ursprünglichen Plänen wieder einmal nichts werden würde. Rachels Freunde und eine Schwester meiner Gastmutter waren mit ihrer Tochter zu Besuch und es wurde wie immer in großen Mengen gekocht. Anstatt mein Schlafdefizit oder meinen Wäscheberg zu beseitigen, verbrachte ich einen schönen Nachmittag mit leckerem Essen und interessanten Gesprächen.

Am 10. Januar bin ich mit Maria und Elena in unsere neue Wohnung gezogen. Eigentlich wollte ich spätestens um halb neun los. Doch daraus wurde nichts, weil ein großes Frühstück zubereitet werden sollte, für das die Zutaten allerdings erst eingekauft werden mussten. Bis die Holzkohle heiß ist, dauert es bekanntlich auch eine Weile und obwohl ich schon am Abend vorher alles gepackt hatte, ist es mir nicht gelungen vor zwölf das Haus zu verlassen, weil meine Gastmutter dann doch allen Ernstes noch die Fotoalben auspackte, mit der Begründung, dass ich nie zu Hause gewesen wäre. Ich dachte daran wie oft ich mit ihnen im Wohnzimmer gegessen hatte und ich fragte mich, ob dazu nicht vorher ausreichend Gelegenheit gewesen wäre und das ausgerechnet an diesem Tag sein musste.
Schließlich war ich mit einer Viertelstunde Entfernung wirklich nicht aus der Welt und hatte in dem Moment eher die Sorge am Abend auf dem Boden schlafen zu müssen, wenn ich nicht bald das Haus verlassen würde. Versteht mich nicht falsch, ich schätze die Gastfreundschaft von Anne sehr, aber manchmal ist es wirklich nicht leicht damit umzugehen, denn man möchte nicht unhöflich sein, hat aber eben oft auch eigene Pläne, die nicht bis zum nächsten Tag warten können. (Das Frühstück war natürlich trotzdem echt gut!)

In der Wohnung angekommen, waren die Maler immer noch damit beschäftigt, unsere Decke zu streichen und in Anbetracht der Uhrzeit war schon klar, dass wir froh sein konnten, wenn wir bis zum Abend zumindest alle eine Matratze haben würden. Mit Hilfe von Uncle Fred, der das Bett, welches unbenutzt im Schuppen meiner Gastfamilie stand, auf seinem Autodach für mich transportierte, hatte sich zumindest das Problem schon gelöst. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig abenteuerlich, ist aber kein Vergleich zum Transport mit dem Boda oder Fahrrad, der hier keine Seltenheit ist. Ein Bett hatte ich also schon mal und auch für Maria und Elena sah es zuerst gut aus. Nachdem wir über den Preis der Betten verhandelten hatten, beschlossen wir uns erstmal um die Matratzen zu kümmern und sie später abzuholen. Weil wir den Preis für die Matratzen, bei denen man nicht nach etwa fünf Minuten das Gefühl hat auf dem Lattenrost zu liegen, nicht ganz wahr haben wollten – man kann eben auch oft nicht sicher sein, ob man aufgrund der eigenen Hautfarbe mehr bezahlen soll als andere oder ob man eigentlich einen ziemlich guten Preis ausgehandelt hat – zog sich der Matratzenkauf ein wenig in die Länge. Wir zogen nochmal meine Gastmutter hinzu und stellten fest, dass das mit einem anderen Händler ausgehandelte Angebot doch besser war als gedacht. Aber in Anbetracht der Uhrzeit entschieden wir uns, die Hilfe meiner Gastmutter in Anspruch zu nehmen und kamen so an unsere Matratzen. Für das Bett, das Maria sich ausgesucht hatte, war wohl jemand bereit gewesen mehr zu zahlen und man teilte uns mit, dass es schon verkauft wurde, worüber wir nicht sonderlich erfreut waren. Deal ist Deal, sollte man meinen. Wenigstens hatten wir es geschafft, dass keiner auf dem Boden schlafen musste und wir es auf unseren neuen Matratzen gemütlich machen konnten. Es sah alles noch sehr chaotisch aus und auch die erstandenen Kochtöpfe halfen uns ohne Herdplatte nicht weiter, aber darum mussten wir uns dann eben am nächsten Tag kümmern.

Im Laufe der Woche wurde unsere Einrichtung dann noch mit Holzregalen erweitert und wir schnitten unsere gemusterte Meterware als Vorhänge zu, um sie dann mit Kordel an den Fenstergittern zu befestigen. Den Verschnitt benutzen wir als Topflappen, die noch darauf warten von mir zusammen genäht zu werden. Auch sonst fehlen uns noch einige Dinge, aber solange üben wir uns weiterhin darin zu improvisieren, was immer wieder zu sehr lustigen Vorfällen führt.

Für Anne war der Gedanke unvorstellbar, dass wir am nächsten Morgen kein heißes Wasser für unseren Tee haben würden, weil unsere Küche zu dem Zeitpunkt nur eine Spüle enthielt – nur ist relativ, in Uganda ist das nämlich auch keine Selbstverständlichkeit. Jedenfalls rief sie abends nochmal an und obwohl ich ihr versicherte, dass wir ein Frühstück ohne Caayi überleben werden, bestand sie darauf, dass ich mit der Thermoskanne vorbei komme. Natürlich konnte ich auch nicht wieder gehen, bevor ich eine Tasse Tee getrunken und eine Banane gegessen hatte. Außerdem gab sie mir noch mehr Bananen und eine Decke mit, weil sie der Ansicht war, das ich nachts sonst bestimmt frieren würde. Dankbar, aber auch erleichtert, dass ich nun wieder selber entscheiden kann, was ich brauche und was nicht, machte ich mich im inzwischen Dunkeln zurück zu unserer Wohnung.Am Sonntag kauften wir dann noch drei kleine Hocker, Teller, Besteck, einen gebrauchten Gaskocher und Lebensmittel ein, die für unseren kühlschrankfreien Haushalt geeignet sind. Die Suche nach einer Gasflasche stellte sich jedoch etwas schwieriger heraus und die Details über den Transport lasse ich besser aus. Jedenfalls haben wir eine bekommen, die sogar perfekt zu unserer orangefarbenen Wand passt und uns ermöglichte, dass wir schon am zweiten Abend unsere ersten Spaghetti mit Tomatensauce kochen konnten! Nach den ersten Anzündversuchen, wurde uns klar, dass wir die Platten allerdings besser mit einer Kerze, als mit einem Streichholz anzünden sollten, wenn wir vermeiden wollen, dass wir oder unsere Bude auch in Flammen aufgehen. Die zwei Packungen Kerzen, die die Freundin meiner Mutter mir zusätzlich zur Schokolade und Vollkornbrot mitgebracht hatte, werden wir also nicht nur bei Stromausfall gut gebrauchen können.

Nach zwei Einbrüchen im Guest House hatte Sicherheit für uns die oberste Priorität. Eine Mauer und eine Tor waren uns also wichtiger, als dass jeder ein eigenes Zimmer hat. Wohnungen mit drei oder mehr Zimmern sind ohnehin schon schwer zu finden, es sei denn man möchte unverhältnismäßig viel Geld ausgeben. Deshalb teilen Maria und ich uns ein Zimmer, aber dadurch, dass das Wohnzimmer und die Küche einzelne Räume sind, ist es kein Problem, wenn man mal seine Ruhe braucht. Außerdem haben wir sogar eine richtige Toilette und eine Dusche, aus der manchmal sogar für kurze Zeit lauwarmes Wasser kommt.

Im Moment werden die übrigen Wohnungen in unserem Wohnkomplex noch zu Ende gebaut, da bisher nur der Vermieter und wir dort wohnen. Wir freuen uns schon auf das Ende der Bauphase, da die Bauarbeiter zwar vormittags schon anfangen zu trinken und laut Musik zu hören, aber was die Arbeit betrifft oft erst nachmittags aktiv werden und mir allenfalls durch ihre Tanzeinlagen positiv in Erinnerung bleiben werden.

Der Schock war groß, als ich beim Besprechen der Wandfarben feststellte, dass direkt neben unserer Wohnung eine Born Again Kirche steht, die dafür bekannt sind, nicht nur Sonntag mit ihrer Musik - wenn man diese denn als solche und nicht als Geschrei bezeichnen möchte -, auf sich aufmerksam zu machen. Maria habe ich kurze Zeit später drüber informiert, Elena wollte ich diese Nachricht aber nicht während ihres Sansibar-Urlaubs mitteilen. Zum Glück verfügt die Kirche hier über ein richtiges Gebäude und nicht nur über eine Wellblechhütte, was die Lautstärke die meiste Zeit erträglich macht. Ansonsten habe ich mich mittlerweile ohnehin bis auf das Schnarchen meiner Gastmutter, an jedes noch so laute Geräusch gewöhnt und schlafe völlig unabhängig davon was auf der Straße abgeht.

Die Zeit in der Gastfamilie war eine ganz tolle und wertvolle Erfahrung, aber in den letzten Wochen wurde es nicht nur mangels Strom zu einer größer werdenden Herausforderung.Ich weiß, dass meine Gastmutter es sicherlich nur gut meinte, aber zum Ende hin wurde es mir teilweise einfach zu viel, wie sehr sie meinte sich in meine Angelegenheit einmischen zu müssen und wie wenig Privatsphäre ich hatte.Vielleicht fiel mir Vieles aber auch schwieriger hinzunehmen, weil ich feststellen musste, dass mich der Kulturschock eben doch noch eingeholt hat und meine anfängliche Euphorie verdrängte, obwohl ich damit absolut nicht mehr gerechnet habe.

Seit einigen Wochen fällt es mir auf einmal unglaublich schwer Dinge hinzunehmen, von denen ich dachte, dass ich sie schon akzeptiert hatte oder Verhaltensweisen zu tolerieren, die mir vorher gar nicht so stark aufgefallen sind, mich momentan aber unglaublich wütend oder traurig machen – oft auch beides gleichzeitig. Niemals hätte ich gedacht, dass der Kulturschock mich so beschäftigen und sich so enorm auf alle Lebensbereiche auswirken würde.

Es gab in letzter Zeit Tage an denen ich den Menschen, die auf der Straße an mir vorbei liefen gar nicht mehr in die Augen schauen konnte, weil ich nicht aushielt, wie sich mich anstarrten. So viele Dinge, die ich sehe und höre stießen bei mir auf unvorstellbar großes Unverständnis und so sehr ich auch weiterhin versuche, mich in die Ugander und ihre Lebensrealität hineinzuversetzen, es gelingt mir eben zurzeit nicht sonderlich gut. Aber auch wenn diese Phase unfassbar anstrengend ist, so ist sie eben auch total spannend, weil ich gedanklich noch viel intensiver mit meinen eigenen Wertvorstellungen, meiner Lebenseinstellung und meiner eigenen Kultur beschäftige, die ich beginne in mancherlei Hinsicht zu hinterfragen oder auch Positives an gewissen Verhaltensweisen und Einstellungen zu sehen, die mir vorher nie bewusst waren. Somit hinterfragt man also auch sich selbst und erfährt durch die fremde Kultur auch so viel mehr über seine eigene.

So gesehen kam das Zwischenseminar für mich wirklich genau zur richtigen Zeit. Es fand letzte Woche Montag bis Samstag in der Nähe von Entebbe statt und wurde von meine Entsendeorganisation IN VIA Köln e.V. organisiert.
Ich habe mich sehr darauf gefreut, mich nochmal intensiver mit den anderen Freiwilligen über bisherige Erfahrungen auszutauschen und es war wirklich eine richtig tolle Woche, die viel zu schnell vorbei ging. Beim nächsten Mal werde ich darüber berichten, was ich aus der Seminararbeit für die nächsten Monate und ganz bestimmt auch für die Zeit danach mitnehmen konnte.